Diskussion: Falsche vs. echte OER

In Diskussionen rund um Open Educational Resources (OER) kommt immer wieder die Frage nach sogenannten falschen und echten OER. Hintergrund ist dabei oft die Frage, welche Creative Commons-Lizenzen OER-Lizenzen sind. Ich will in diesem Blogbeitrag kurz meine Sichtweise zu dieser Diskussion schildern. Anlass war u.a. der Vortrag von Marco Kalz inkl. meiner Rückfrage bei der Tagung eLearn.NRW am 13.09.2018 an der Universität Duisburg-Essen.

Was sind OER?

Um die Frage nach falschen und echten OER einschätzen zu können, muss man sich zunächst fragen, was sind OER überhaupt. Zur Beantwortung dieser Frage gibt es zwei klassische Definitionen. Die Definition der UNESCO (OER-Definition der UNESCO):

„Open Educational Resources (OERs) are any type of educational materials that are in the public domain or introduced with an open license. The nature of these open materials means that anyone can legally and freely copy, use, adapt and re-share them. OERs range from textbooks to curricula, syllabi, lecture notes, assignments, tests, projects, audio, video and animation.“

Und die 5V-Freiheiten nach David Wiley, wonach OER folgende Kriterien erfüllen müssen (5V-Freiheiten nach Wiley, übersetzt durch OER-Info, CC-BY 4.0).

  1. Verwahren/Vervielfältigen – das Recht, Kopien des Inhalts anzufertigen, zu besitzen und zu kontrollieren (z.B. Download, Speicherung und Vervielfältigung)
  2. Verwenden – das Recht, den Inhalt in unterschiedlichen Zusammenhängen einzusetzen (z.B. im Klassenraum, in einer Lerngruppe, auf einer Website, in einem Video)
  3. Verarbeiten – das Recht, den Inhalt zu bearbeiten, anzupassen, zu verändern oder umzugestalten (z.B. einen Inhalt in eine andere Sprache zu übersetzen)
  4. Vermischen – das Recht, einen Inhalt im Original oder in einer Bearbeitung mit anderen offenen Inhalten zu verbinden und aus ihnen etwas Neues zu schaffen (z.B. beim Einbauen von Bildern und Musik in ein Video)
  5. Verbreiten – das Recht, Kopien eines Inhalts mit Anderen zu teilen, im Original oder in eigenen Überarbeitungen (z.B. einem Freund eine Kopie zu geben oder online zu veröffentlichen)

Aus meiner Perspektive sind OER somit sehr gut und auch ausreichend klar definiert. Nun stellt sich noch die Frage nach der Lizenzierung.

Wie sind OER lizenziert?

Beim Thema OER sind viele verschiedene Lizenzen denkbar, genutzt und diskutiert werden aber fast ausschließlich die Creative Commons-Lizenzen (CC). Bei Einführungen zum Thema OER werden folglich in der Regel die CC-Lizenzen ausführlich erläutert, inkl. der verschiedenen Bestandteile (BY, SA, NC, ND). Wer mehr darüber erfahren möchte, kann sich hier informieren.

Da OER und Creative Commons oftmals sehr nah beieinander behandelt und diskutiert werden, könnte der Eindruck entstehen, OER seien immer unter CC lizenziert oder umkehrt, dass jede CC-Lizenz eine OER-Lizenz sei. Dies ist aus meiner Sicht ein Denkfehler. Denn nicht alle CC-Lizenz erfüllen die beiden oben genannten Definitionen. CC-Lizenzen, die ein ND beinhalten, lassen sich nicht verarbeiten (Wiley, 3. V). CC-Lizenzen, die ein NC beinhalten, sind nicht für „anyone“ (UNESCO-Definition) nutzbar. Warum NC auch darüber hinaus keine sonnvolle Lizenz im Bildungskontext ist, erklärt Paul Klimpel in dieser Broschüre von iRights.

Gibt es nun falsche und echt OER?

Aus meiner Sicht gibt es keine falschen und echten OER, sondern nur OER. Ein Fehler ist es nur, anzunehmen, alle CC-Lizenzen seien OER-Lizenzen. Wenn wir uns an den oben genannten Definitionen orientieren, dann gibt es nur drei CC-Lizenzen, die sich für OER eigenen: CC0, CC BY, CC BY-SA. Bildungsmaterialien unter andere CC-Lizenzen (inkl. NC und/oder ND) sind dann keine falschen OER, sie sind gar kein OER.

Wie immer freue ich mich über Kommentare, Anmerkungen oder Gegenreden.

EDIT: Auf Twitter wurde/wird fleißig dazu diskutier. Vielen Dank dafür:

2 Kommentare

  1. Hi Matthias,

    da du mich auf Twitter markiert hast, hier kurze Ergänzungen zur Debatte von mir:

    Ich bin ebenfalls Verfechter dafür, dass NC-lizenziertes Material kein OER qua Definition ist. Mir persönlich geht es hierbei vor allem um zukünftige Nutzungsweisen von offenem Material (Bildungsinnovationen), die wir uns jetzt vielleicht noch gar nicht vorstellen können, welche aber durch definitionskompatible Lizenzen ermöglicht werden – egal ob sie in einer Privatschule oder einer staatlichen Schule erprobt werden.
    Weiterhin hat sich in der Open Source Welt die Einschränkung bezogen auf eine Nutzungsart (kommerziell/nichtkommerziell) nie durchgesetzt, sondern lediglich ob copyleft (https://de.wikipedia.org/wiki/Copyleft) drauf sein sollte oder nicht, was teilweise dann eine philosophische Frage in Bezug auf Freiheit ist und auch Bedenken wie die mögliche Vereinnahmung von Inhalten durch Großkonzerne betrifft. Die Frage nach kommerziell/nichtkommerziell hat sich aber in der Breite nie gestellt.
    Für mich persönlich hat sich dahingehend stets die Frage gestellt, warum Bildung danach kategorisiert werden sollte, ob ich als Medienpädagoge gerade freiberuflich etwas mache für einen gemeinnützigen Verein gegen ein Honorar (= ich darf kein NC-Material nutzen) oder ob ich in dem Verein selbst angestellt bin (= ich darf NC-Material nutzen).

    In der Vergangenheit habe ich verschiedene Argumentationswege versucht, diese finden sich in meinem Blog: https://matthias-andrasch.de/2017/nc-ist-doof/

    Ein Positivbeispiel ist das mBook-Team, welches nach On- sowie Offline-Diskussion auf dem OERcamp sich für eine definitionskompatible Lizenz entschied: https://www.oercamp.de/2017/06/07/die-unsichtbaren-ergebnisse-das-oercamp-hat-folgen/

    Zukünftig werde ich mich persönlich eher an die Argumentation von Leonhard Dobusch ranhängen, welcher von den öffentlich-rechtlichen eine Lizenzierung fordert, welche Wikipedia-kompatibel ist (Wikipedia nutzt CC-BY-SA als Obergrenze; auf Wikimedia Commons ist NC/ND z.B. nicht erlaubt, siehe https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:Licensing/de#Bekannte_Lizenzen):

    Vortrag „Warum Creative Commons und Öffentlich-rechtliche (nicht) zusammenpassen“ – Leonhard Dobusch https://media.ccc.de/v/np14-6-warum_creative_commons_und_oeffentlich_rechtliche_nicht_zusammenpassen

    Also im Sinne von: Wer also ein ernsthaftes Anliegen bzgl. freiem Wissen hat, sollte sich minimal auf CC BY-SA einlassen, um die Inhalte auch dem größten Wissensprojekt der Menschheit, der Wikipedia, zugänglich zu machen.

    Und an dieser Stelle sollte man meiner Meinung nach unbedingt verschiedene Dimensionen differenzieren (wie auch hier angesprochen https://twitter.com/Josef_Buchner/status/1047867829456982016, Disclaimer: Den angesprochenen Vortrag von mkalz habe ich noch nicht gesehen):

    – Dimension A: Die eigeninitiative Einzelperson
    In Bezug auf Lehrer*innen, die eigeninitiativ Material ins Netz stellen, ist schon ein Veröffentlichen mit CC-Lizenz generell ein Erfolg, egal wie restriktiv der Lizenztyp ist. So zeigt die Veröffentlichung, dass der Aspekt des Urheberrechts wahrgenommen wird und potenziell ist der Weg geöffnet, das nächste Material freier zu lizenzieren. Hier sollte mit Jubel und Applaus reagiert werden, auch für den Mut einer Veröffentlichung im Netz allgemein. Im Nebensatz auf die OER-Definition verweisen kann trotzdem nicht schaden, Hinweise sollten aber freundlich und höflich formuliert werden. Hilfreich könnte es hier auch sein, auf die Perspektive der Nachnutzer*innen zu verweisen: https://matthias-andrasch.de/2018/die-konsequenzen-fuer-nachnutzerinnen-bei-der-der-lizenzauswahl-oer-infosammlung/ (Auf die Nachnutzung zielt man mit OER ja letztendlich ab)

    – Dimension B: Staatlich-finanzierte Inhalte/Institutionen/Organisationen mit OER-Projekten
    Auf Dimension B fällt es mir schwer, mit Jubel und Applaus zu reagieren wenn Hochschulen und staatliche Stellen sich mit OER schmücken (Stichwort #OpenWashing) oder unreflektiert restriktive Lizenzen auf ihre Inhalte packen, ohne dies begründen zu können. Inhalte, welche letztendlich von der Allgemeinheit durch Steuern finanziert werden und allzu oft noch nicht weitergenutzt werden können, wenn bspw. Projektförderungen enden (Stichwort Nachhaltigkeit). Hier sehe ich eine andere Bringschuld gegenüber Nachnutzer*innen und der Allgemeinheit. Diese Dimensionsebene ist politisch und hier lohnt sich eine engagierte und harte Diskussion. An dieser Stelle der Hinweis auf das brandneue Positionspapier des Bündnis Freie Bildung, in welchem ebenfalls eine „Standardfreigabe für öffentlich finanzierte Inhalte“ gefordert wird:
    https://buendnis-freie-bildung.de/positionspapier/

    Als kurzes Schlaglicht vielleicht noch:
    Als Youtube ankündigte mit Wikipedia-Inhalten gegen Fake News kämpfen zu wollen, kritisierte Wikimedia-CEO dieses Vorgehen, weil hier die gemeinnützige Arbeit der Wikipedianer*innen ohne Gegenleistung für einen Großkonzern genutzt wird: https://meedia.de/2018/03/16/youtube-setzt-im-kampf-gegen-verschwoerungsvideos-auf-wikipedia-dort-weiss-man-aber-nichts-von-einer-partnerschaft/
    Es ging hier explizit nicht um eine Lizenzverletzung, sondern eher um eine sozial-moralische Frage, wie große Unternehmen mit freien Inhalten umgehen sollten. In Deutschland scheint es mir noch so zu sein, dass wir viel zu stark auf der juristischen Ebene argumentieren, statt Material offen bereitzustellen und – falls es überhaupt irgendwann mal so sein sollte – Großkonzerne öffentlich kritisieren, wenn sie OER-Communityprojekte für ihre Zwecke ausschlachten.* In dem Sinne: Lieber soziales Handeln in den Vordergrund stellen, als juristisch präventiv mit restriktiver Lizenz.

    Diese Kommentar kann gerne als CC0 (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de) weitergenutzt werden.

    * Diese Debatte knüpft aber sicher auch an die – aus meiner Sicht – viel zu emotional und einseitig geführte Diskussion zu Kommerzialisierung, Lobbyismus & Co in Bezug auf Bildung an, welche nun unweigerlich durch Smartphones die Schulmauern durchbrochen hat.

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