Die Kunst neu zu denken – Herausforderungen der Digitalisierung

Digitalisierung. Überall – auf Konferenzen und Tagungen, in den Nachrichten, in politischen Debatten – geistert dieses Thema durch die Welt. Spätestens Johanna Wanka den Digitalpakt 2016 angekündigt hat ist das Thema auch in den Schulen angekommen oder mindestens in den schulpolitischen Auseinandersetzung. Auch deswegen fragen die Bildungspunks in diesem Monat, welche Kompetenzen Lehrkräfte in einer digital geprägten Welt benötigen. Ein Thema, zu dem ich mich beruflich quasi schon äußern muss.

Die ersten KollegInnen aus der Schule, der Lehrerbildung und der Medienpädagogik haben schon spannende Beiträge dazu geschrieben. Alicia Bankhofer fordert Mikrofortbildung als Variante der Lehrerfortbildung, um gezielt einzelne Bedürfnisse von LehrerInnen abdecken zu können. Manfred Schulz zeigt in seiner Grafik sehr strukturiert auf, welche Kompetenzen sich aus dem Positionspapier der KMK „Bildung in der digitalen Welt“ von Dezember 2016 ergeben. Positionen und Kompetenzen, die ich guten Gewissens unterschreiben kann. Sie gehen mir aber noch nicht weit genug. Die Chancen, die uns Digitalisierung einräumt, gehen viel weiter: Es geht darum, neu denken zu lernen.

Diese Idee geht Hand in Hand mit meiner eignen Vorstellung, was Digitalisierung überhaupt bedeutet. In den politischen Debatten kann man gut beobachten, wir oft Gesprächspartner aneinander vorbeireden, weil sich nie darüber ausgetauscht wurde, wie Digitalisierung in der Schule definiert werden kann/sollte. Die einen sprechen über Ausstattung, die anderen über didaktischen Konzepte, die Nächste über die Ersetzung von Lehrkräften durch Computer oder künstliche Intelligenz, wieder ein anderer über technische Supportstrukturen an Schulen. Digitalisierung ist und bleibt ein komplexes Feld. Für mich persönlich ist aber ein ganz anderer Punkt von entscheidender Bedeutung: Digitalisierung verändert. Radikal.

Wir leben in einer wahnsinnig spannenden Zeit. Wahrscheinlich gab es in der Menschheitsgeschichte noch nie eine Epoche, in der sich so viele Dinge so schnell verändert haben. Aus diesem Grund spreche ich mittlerweile gerne von digitaler Transformation als von Digitalisierung. Digitale Transformationen beschreibt als Begriff den gesamtgesellschaftlichen Wandeln. Am Smartphone lässt sich dieser Wandel besonders gut festmachen. Dieses kleine Gerät hat unsere Art des Kommunizierens auf den Kopf gestellt. Es hat verändert wie wir an Informationen kommen und wie wir Augenblicke erleben und festhalten. Selbst Steve Jobs konnte einen Wandel solcher Radikalität nicht voraussehen. Das iPhone ist erst seit knapp zehn Jahren erhältlich und doch hat es nur wenige Jahre gedauert bis es einen weltweiten Durchbruch hatte. Der Vergleich der Bilder im Spiegel von der Bekanntgabe des neuen Papstes 2005 und 2013 zeigen diesen Effekt besonders gut auf.

Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Lehre und das Lernen an unseren Schulen? Meiner Meinung nach verlaufen sich Diskussion am Ende häufig in einem Zirkelschluss. Um Digitalisierung an Schulen voran zu bringen, brauchen wir die passende Infrastruktur und Ausstattung. Um diese bedienen und verwenden zu können, braucht es didaktische und technische Konzepte, Fortbildungen und Supportstrukturen. Um LehrerInnen zu Fortbildungen, deren Inhalte direkt angewendet werden können, zu motivieren, braucht es eine vorhanden technische Infrastruktur. Der Zirkelschluss ist perfekt. Die einzelnen Argumente dahinter kann ich nachvollziehen, auch, dass viele Lehrkräfte wenige bis keine Zeit haben sich intrinsisch und in Eigenverantwortung mit Methoden und Tools auseinander zu setzen. Dennoch liegt hier das entscheidende Problem. Denn die Veränderungen haben gesellschaftlich längst begonnen, nun müssen sie in unseren Köpfen ankommen. Digitalisierung ermöglicht es uns, Schule ganz neu zu denken. Klassenraumausstattung, Möbel, Zeiten, Länge von Unterrichtsstunden, Zusammenstellung von Klassen, individuelle Förderungen, Art der Schulfächer usw.: All dies muss hinterfragt werden. All dies kann nun hinterfragt werden, weil die Digitalisierung uns die Chance gibt, mit zum Teil einfachsten Mitteln die angesprochenen Dinge auf den Kopf zu stellen. Die Frage ist: Trauen wir uns so zu denken? Schaffen wir es Blockaden im Kopf zu lösen? Können wir das alte System überwinden?

Ich bin aktuell sehr skeptisch. Das System Schule ist träge, sehr träge. Und so werden Lehrkräfte in ein träges System hinein sozialisiert, welches sie selbst träge werden lässt (mit Ausnahmen selbstverständlich). Der Digitalpakt ist dafür ein gutes Beispiel. So wie dieser von der möglichen großes Koalition geplant wird (hier bei Martin Wiarda kann man es gut nachvollziehen), wird der Digitalpakt für eine Verstärkung und Verstetigung des alten System sorgen, das dann mit etwas neue Technik ausgestattet wird. Aber er wird nichts verändern. Lasst uns daher endlich anfangen Schule und Unterricht neu zu denken, um die Möglichkeiten der Digitalisierung wirklich ausschöpfen zu können. Es lohnt sich trotzdem hin und wieder zurück zu schauen, denn es ist ja nicht alles schlecht (gewesen). Digitalisierung und eine reformpädagogisch geprägte Schule passen gut zusammen. Wilhelm von Humboldt könnte mit den Potenzialen der Digitalisierung mit Sicherheit auch etwas anfangen. Wir dürfen diese Strömungen nur nicht kopieren, sondern müssen sie neu interpretieren und das funktioniert nur, wenn wir anfangen Bildung neu zu denken: Kreativ und ohne (systemische) Blockaden. Von oben (politisch) können wir diesbezüglich nichts erwarten, wir müssen bei uns selbst beginnen.

Die wäre an sich ein guter Abschluss gewesen. Ich möchte aber noch etwas praktischer an das Thema rangehen. Für mich ist die OER-Community und das Denken innerhalb dieser ein super Beispiel, wie wir Denken neu lernen können. Denn um OER konsequent nutzen, produzieren und remixen zu können, braucht es viele Kompetenzen und viel Offenheit beim Denken.

  • Man muss bereit sein, Materialien anderes zu verwenden.
  • Man muss bereit sein, seine eigene Materialien offen zu teilen.
  • Man muss Kritik vertragen können und bereits sein, Material fortlaufend zu verändern.
  • Man muss erkennen, dass Qualitätssicherung eher ein Mythos ist, aber dass in einem Feedbackprozess und damit einer Qualitätsentwicklung eine viel größere Chance liegt.
  • Man muss bereit sein, Tools und Anwendungen „böser“, amerikanischer Firmen (wie Google) zu nutzen.
  • Man muss erkennen, dass Offenheit komplex ist (Lizenz, Dateiformat, Remix-Bedingungen etc.).

Viele müssen hierbei über sehr viele Schatten und Systemhürden springen. Lasst euch aber sagen: Es lohnt sich. Digitalisierung heißt daher für mich, Schule neu zu denken und besser zu machen.

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