Was ich mir für 2026 wünsche? Eine Bildungsforschung, die wieder mutiger wird!

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und damit beginnt die Zeit der Rückblicke. Auch in der Bildungswelt wird jetzt wieder gesammelt, bilanziert, gefeiert: tolle Konferenzen, inspirierende Begegnungen, bahnbrechende Forschung. Ich lese diese Posts gern und erinnere mich an viele Veranstaltungen, die tatsächlich inspirierend waren – mit Menschen, die mutig neue Wege denken.

Und dann tauchen in meinem Feed immer wieder Rückblicke auf eine bestimmte Veranstaltung auf, die (gefühlt) zur besten Konferenz des Jahres erklärt wird. Voller Superlative: „bahnbrechend“, „innovativ“, „zukunftsweisend“. Und jedes Mal denke ich: Reden wir wirklich von derselben Veranstaltung?

Denn mein Eindruck war ein völlig anderer. Für mich war das eine der uninspirierendsten und rückwärtsgewandtesten Veranstaltungen der letzten Jahre – eine Aneinanderreihung von Beiträgen, die wissenschaftlich sicher solide waren, aber inhaltlich erschreckend leer. Forschung, die vorgibt, am Puls der Zeit zu sein, tatsächlich aber im Jahr 2010 stehen geblieben ist. Ein Beispiel: Es wurden Studien vorgestellt, die den Einsatz digitaler Medien im Unterricht nach diesem Schema untersuchen: „eine Klasse arbeitet mit Tablets, eine mit dem Schulbuch und dann vergleichen wir die Noten“.

Wer 2025 so forscht, liefert nicht nur überholte Ergebnisse, sondern zeigt, dass grundlegende Veränderungen offenbar nicht verstanden wurden. Digitalität ist kein Instrument, sie verändert Lern- und Denkkulturen grundlegend. Durch ein nahezu banales Verständnis des digitalen Wandelns degradiert sich (ein Teil der) Bildungsforschung selbst zur Spielwiese methodischer Eitelkeiten. Und genau das ist das Problem: Wir haben es mit einer Bildungsforschung zu tun, die sich methodisch perfektioniert, aber intellektuell verengt. Mikrofragen, minimalinvasiv erforscht, mit präzisen, aber praktisch irrelevanten Ergebnissen. Hochkomplexe Studien, die Millionen verschlingen und dazu führen, dass Lehrkräfte sich abwenden, weil sie zu Recht fragen: Was nützt uns das eigentlich?

Forschung, die den Bezug zu Schule verliert, verliert ihre Legitimation. Ich beobachte, dass viele Schulen längst aufgehört haben, auf Bildungsforschung zu warten. Sie entwickeln selbst aus der Praxis heraus: schneller, mutiger, multidisziplinär. Und viele praxisnahe Fortbildungsformate oder OER-Initiativen haben heute mehr Impact auf das Lernen in Schulen als manche groß geförderten Forschungsprojekte. Was mich so wütend macht, ist der begleitende Selbstjubel: All diese Veranstaltungen, Panels und Postersessions, in denen sich die Bildungsforschung selbst gratuliert für Ergebnisse, die in der Realität der Schule keine Rolle spielen. Wo sind die kritischen Stimmen, die den Mut haben zu sagen: Vieles von dem, was wir tun, ist irrelevant für die drängenden Fragen des Bildungssystems? Die kritischen Stimmen sind quasi nur da, wenn es um die Methodik der Datenerhebung und -auswertung gibt. Vielleicht gibt es auch inhaltliche Diskussionen, aber sie werden zu selten öffentlich geführt. Stattdessen herrscht eine Kultur des Weiter-So: Projekte laufen in Zyklen, Evaluationen bestätigen, dass alles „wissenschaftlich fundiert“ war, und am Ende fragt niemand, ob sich dadurch an Schule tatsächlich etwas verändert hat.

Mein Wunsch für 2026: Eine Bildungsforschung, die wieder mutiger wird. Die offen einräumt, dass das bestehende System sich selbst im Kreis dreht. Die Schule als komplexes, soziales und kulturelles System begreift und nicht als Labor zur Hypothesenprüfung. Forschung, die sich nicht vor der Praxis versteckt, sondern gemeinsam mit ihr neue Antworten sucht. Ich wünsche mir, dass Forschungsförderung wieder stärker darauf schaut, welche Fragen gestellt werden, nicht nur, wie man sie misst. Dass Projekte nicht daran gemessen werden, wie viele Publikationen sie erzeugen, sondern wie viele Impulse sie in die Bildungspraxis bringen. Dass Lehrkräfte nicht länger Versuchspersonen, sondern Forschungspartner sind. Und um es konkret zu machen: Bei jener Konferenz wurde ein mehrjähriges Projekt vorgestellt, das u.a. eine mehrtägige Lehrkräftefortbildung konzipiert, umgesetzt und evaluiert hat. Aufwand immens, Förderung vermutlich im siebenstelligen Bereich. An allen Teilen der Evaluation nahmen rund 50 Personen teil. Und daraus wurden „statistisch signifikante“ Erkenntnisse über Wirksamkeit gezogen. Mit Verlaub: Das ist grotesk! So etwas beschädigt das Vertrauen in Bildungsforschung nachhaltig. In der gleichen Zeit haben Plattformen wie fobizz oder offene OER-Initiativen Hunderttausende Lehrkräfte erreicht, fortgebildet und vernetzt – zu einem Bruchteil der Kosten. Nicht alles dort ist perfekt, aber dort passiert, was Forschung oft versäumt: Relevanz.

Vielleicht braucht Bildungsforschung vor allem eins: den Mut, wieder unbequem zu werden. Unbequem für Systeme, die Veränderung scheuen. Unbequem für Förderlogiken, die Output mit Impact verwechseln. Und unbequem für Forschende selbst, die sich fragen müssen, ob ihre Arbeit mehr leistet als methodische Brillanz ohne Wirkung. Wissenschaft, die sich nur selbst genügt, erfüllt keinen gesellschaftlichen Auftrag. Was ich mir für 2026 wünsche: Mehr Mut für die großen Fragen.

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * markiert.

Beitragskommentare

Kategorien
Archiv