Gestern wurde auf der Zeit-Konferenz „Schule und Bildung“ der Länderindikator 2017 der deutschen Telekom Stiftung vorgestellt. Dieser wurde vom Institut für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund erstellt. Ich will in diesen Blogbeitrag kurz und kritisch auf einige Ergebnisse dieser Studie und auch auf das Studiendesign eingehen.
Eigentlich wollte ich diesen Beitrag bereits gestern veröffentlichen, bin aber nicht mehr dazu gekommen, ihn fertig zu schreiben. In der ursprünglichen Version stand der Satz, dass die sich Ergebnisse hervorragend dafür eignen würden, diese politisch zu instrumentalisieren; vor allem, wenn man nicht in der Lage ist, die Ergebnisse kritisch und reflektiert zu lesen. Genau diese Befürchtung ist gestern noch direkt eingetreten als das Schulministerium NRW folgendes twitterte.
Wie komme ich darauf dem Schulministerium zu unterstellen mit den Ergebnissen nicht korrekt umzugehen. In meinen Augen liegt das Grundproblem im Studiendesign, denn es wurden reine quantitative Daten erhoben und dabei lediglich Selbsteinschätzungen der Lehrerin und Lehrer abgefragt. Dies bringt einige Probleme mit sich, wenn z.B. Grundbegriffe oder Grundverständnis nicht klar definiert sind. Lasst mich dies an zwei Beispielen deutlich machen. 69,8 % der Lehrerinnen und Lehrer glauben, dass Schülerinnen und Schüler grundlegende Computerkenntnisse bereits mit sich bringen. Hier könnte man schon konkret kritisieren, dass der Begriff „Computerkenntnisse“ problematisch ist, da er wie ein Begriff aus der Vergangenheit klingt. Die in der Studien angegebenen Indikatoren für Computerkenntnisse sind doch nur ein kleiner Teil der erforderlichen Medienkompetenzen im 21. Jahrhundert. Dieses Studienergebnis zeigt für mich, dass wir wieder einer Debatte führen müssen, die ich nie wieder führen wollte. Es geht um den Begriff „digital natives“. So wie dieser Begriff 2001 definiert wurde, ist er absolut nicht haltbar. Ich würde sogar noch eine ganze Ecke weiter gehen und den Begriff ins Reich der Mythen verbannen. Sowohl die Erfahrung als auch zahlreiche Befunden unterstützen dies. Dass dennoch fast 70 % der befragten Lehrkräfte ihre Schüler einschätzen, zeigt für mich, dass viele nicht wissen, welche Kompetenzen Schüler und Lehrer besitzen bzw. erwerben sollten. Darin zeigt sich das grundlegende Problem der Studie. Mit den reinen quantitativen Daten wissen wir nicht, wie wir die Selbsteinschätzung der Lehrerinnen und Lehrer richtig einordnen sollen.
Bei meinem zweiten Beispiel wird dies noch deutlicher. In der Studie geben 40,5% der Lehrer an, dass WLAN in den Klassenräumen verfügbar ist. Dies könnte man so interpretieren, dass die IT-Infrastruktur an unseren Schulen besser wird. Nichts sagt die Studie aber darüber aus, wie gut die Internetverbindung ist oder ob die Lehrer wissen, wie eine gute Internetverbindung aussehen muss. Mehrfach habe ich es schon erlebt, wie Schulleiter stolz darauf waren, dass ihre Schule eine Internetverbindung von 50.000 Mbits pro Sekunde hatte. Wenn nun aber 250 Schüler mit 250 Geräte zeitgleich diese Internetverbindung nutzen wollen, dann reicht die Geschwindigkeit nicht aus. Dies ist vielen jedoch nicht bewusst, da sie als Maßstab die Geschwindigkeit aus ihrem eigenen zu Hause nehmen. Wenn im Länderindikator nun über 40% der Lehrkräfte mit dem WLAN in ihrer Schule zufrieden sind, sagt dies noch nichts darüber aus, ob das WLAN an ihrer Schule wirklich ausreichend ist. Hier fehlen qualitative Daten. Eine Interviewreihe mit den Befragten wäre wünschenswert gewesen, um die Ergebnisse besser einschätzen zu können. Diese kritische Betrachtung fehlt in der politischen Debatte vollkommen; entweder weil sie bewusst nicht genannt wird oder weil die beteiligten Personen nicht die erforderlichen Kompetenzen mit sich bringen, um die Studie kritisch einzuordnen.
Ich wünsche mir daher, dass wir den Länderindikator in der öffentlichen Debatte kritisch reflektieren, statt ihn politisch zu instrumentalisieren. Für ein ganzheitliches Bild fehlt es an qualitativen Daten. Hier muss in Zukunft meiner Meinung nach nachgebessert werden. Es könnte zudem nicht schaden, die Fachdidaktiker, Fachleiter und die Multiplikatoren im technischen wie im didaktischen Bereich in solche Befragungen mit einzubeziehen.
Wir brauchen eine stärkere Verzahnung der drei Phasen der Lehrerbildung. Dafür muss mehr Geld in die Hand genommen werden und es muss mehr Personal eingestellt werden. Dies betrifft sowohl die Universitäten als auch die ZFSLs als auch die Schulen. Wir müssen mit alten Vorstellungen und Vorgehensweisen zu brechen. Diese über Bord zu werfen, ist ein Kernthema von Digitalisierung. Wir brauchen Mut und Experimentierfreude, Kollaboration und Offenheit. Hier liegt sehr viel Arbeit vor uns. Ich befürchte aber, dass der Länderindikator uns bei diesem Vorhaben nicht helfen wird. Er wird viel mehr der Politik ermöglichen, sich hinter den Ergebnissen zu verstecken und den Fortschritt weiterhin zu behindern. Ich bin gespannt auf eure Einschätzungen. Teilt sie gerne über Twitter oder unter diesem Beitrag.